Neuzeitliches Selbstverständnis und Deutung der Antike

Die Deutung der Texte und Monumente der Antike geschieht bis heute in erheblichem Umfang unter allgemeinen Prämissen, die aus dem Gegensatz, in dem "die Antike" und "die Moderne" zueinander stehen sollen, abgeleitet werden und in denen in der Regel festgeschrieben ist, über welche Entdeckungen die Antike insgesamt noch nicht habe verfügen können. Die Entstehung dieses Gegensatzbewusstseins geht bis auf den Bruch der Frühen Neuzeit mit dem Mittelalter zurück. Die Unzufriedenheit mit den Verfallstendenzen der eigenen Zeit führte im 14. Jahrhundert bei führenden Dichtern und Philosophen (z.B. Petrarca, Bruni) zu einem Rückgriff auf die 'eigene' Vergangenheit im Rom der klassisch-augusteischen Zeit. Dadurch entstand ein Bewusstsein der Parallelität der eigenen neuen Zeit mit der Antike. Aus diesen 'Parallelen' wurden bald 'querelles', Auseinandersetzungen um die Legitimität und Überlegenheit der eigenen Epoche. Mit der Geschichte dieses Gegensatzbewusstseins befasst sich die Forschergruppe: Neuzeitliches Selbstverständnis und Deutung der Antike.

Ausgangspunkt des Projekts ist der durch die neuere Forschung immer deutlicher belegte Befund, dass in der Renaissance nicht "die Antike" wiederentdeckt wurde, sondern dass es sich hier vor allem um einen umfassenden Rezeptionswandel handelt, in dem die in Spätantike und Mittelalter vernachlässigten, aber im Augusteischen Rom diskursführenden Schulen des Hellenismus: die Stoa, der Epikureismus und die Skepsis im Gesamtaspekt ihrer erkenntnistheoretischen, ästhetischen, ethischen, politischen, ökonomischen Inhalte ein neues Interesse und eine neue Bewertung erfuhren. In einer Neurezeption des hellenistisch-römischen Bildes von der klassischen griechischen Philosophie werden auch Platon, Aristoteles und der spätantike Neuplatonismus im Licht dieser hellenistischen Philosophien neu gedeutet.

Aus diesem Rezeptionswandel speist sich das Bild, das die Neuzeit als eine auf der Ebene der Reflexion wiederholte "Antike" von sich selbst entwirft, er ist aber auch verantwortlich für das Bewusstsein eines Traditionsbruchs und der Opposition gegen die "noch naive" Antike.

Da das für den Epochenbruch konstitutive Bewusstsein vor allem mit der reflexiven Wende des denkenden Subjekts auf sich selbst begründet wird, bildet die Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Aspekten dieses Rezeptionswandels die Basis des Projekts. Dazu kommen Untersuchungen zu den wissenschaftstheoretischen, ästhetischen, ethischen, politischen und ökonomischen Konsequenzen dieses Wandels, d.h. Untersuchungen, die die Auswirkungen des neuzeitlichen Oppositionsbewusstseins gegen die Antike auf die Interpretationen der Wissenschaftskonzepte, der Literaturen und Künste, der Moralkonzepte und Staatstheorien sowie auf die Wirtschaftstheorie zum Gegenstand haben. In erster Linie geht es dabei um die Erschließung eines hermeneutisch adäquateren Zugangs zu den Texten und Monumenten im Zeitraum der Antike, im gegebenen Rahmen werden aber auch Konsequenzen, die sich für das Selbstverständnis der Neuzeit ergeben, verfolgt.

 

Arbeiten im Rahmen der Forschergruppe

Themenbereiche:

  1. Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Psychologie, Ontologie
  2. Physik, Biologie und andere antike Naturwissenschaften
  3. Ethik, Staats- und Wirtschaftstheorie
  4. Ästhetik und Literaturtheorie
  5. Antike Dichtung (Epos, Lyrik, Tragödie, hellenistische Dichtung. Interpretationen, Rezeptionsgeschichte)
  6. Geschichtsschreibung, Geschichtsphilosophie
  7. Antike Bildung, Artes liberales